Bundesinnminister a.D. und RAF-Anwalt wird 90: „Ich bin nichts ganz. Ich bin ein ewiger Skeptiker.“

Otto Schily wettert gegen rot-grüne Kriegsgeilheit

von Alexander Wallasch

Am Vorabend seines 90. Geburtstags bringt sich der grün-rote Otto Schily mit einer scharfen Kritik an den kriegslüsternen Grünen in Erinnerung.© Quelle: Faz.net, Pixabay / Alexandra_Koch, GDJ I Bildmontage: Alexander Wallasch

Im April 2004 erklärte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily angesichts einer akuten Bedrohungslage islamistischen Terrors in Richtung potenzielle Attentäter: „Die Terroristen sollten aber wissen: Wenn ihr den Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben.“

Zu jenem Zeitpunkt hatte Otto Schily, der morgen, am 20. Juli, 90 Jahre alt wird, eine der beachtlichsten deutschen Karrieren abgeliefert. Schily wurde beschimpft als RAF-Anwalt und er war einer der Gründer der Grünen, bevor er zur SPD wechselte, um anschließend als Bundesinnenminister ins Kabinett Schröder einzuziehen.

Damit einher ging die öffentliche Einschätzung, Schily hätte sich vom Verfechter der Bürgerrechte zum Law & Order-Politiker gewandelt. Hatte der Jurist zu RAF-Zeiten noch einen ganzen Katalog von Sondergesetzen gegen seine Mandanten beklagt, wurde er nach 9/11 selbst zum Gesetzesverschärfer und seine Vorlagen als „Otto-Katalog“ bekannt.

Themenwechsel von der inneren Sicherheit zur Außenpolitik: Heute früh, einen Tag vor seinem runden Geburtstag, kritisierte Otto Schily gegenüber der Deutschen Presse-Agentur insbesondere einen grünen Bellizismus, also nicht weniger als die Haltung der von ihm mitbegründeten Partei, militärische Mittel zur Durchsetzung von Zielen zu befürworten.

Die Welt schreibt um 7:03 Uhr: „Schily wirft Deutschen Kriegsverherrlichung vor.“

Das ist bemerkenswert, denn er wirft es ja nicht den Deutschen vor, sondern der Regierung und insbesondere den Grünen. Allerdings teilen diese Kriegsbegeisterung weite Teile der Altmedien, des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und der Bevölkerung – kein Wunder also, wenn die Welt unpräzise wird.

Der Bundesinnenminister a.D. im O-Ton: „In Deutschland hat sich ein Bellizismus ausgebreitet, der riskant ist. (…) Ausgerechnet bei den Grünen gibt es hier eine zu große Einseitigkeit.“

Und bevor Sie als Leser jetzt ein vorschnelles Urteil über den RAF-Anwalt und Minister a.D. fällen oder sich längst eine Meinung gebildet haben, bedenken Sie bitte, wer heute Bundesinnenministerin ist. Im Vergleich zu Nancy Faeser muss man Otto Schily rückblickend als einen Leuchtturm der Verteidigung des Eigenen, bald als eine Lichtgestalt für Bürger bezeichnen, denen noch etwas an ihrem Land liegt.

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So weit sind wir also gekommen, es geht immer noch deutlich schlimmer. Ein Übel gebiert das immer noch größere Übel.

Und auch wenn es irritieren mag, aber die Anwälte der RAF saßen durchaus teilweise im selben Boot mit den Verteidigern der Freiheit und der Bürgerrechte von heute. Und das vollkommen unabhängig davon, wie sehr sich ihre Klientel und teilweise die Anwälte selbst im Kampf gegen den Staat engagierten.

Wer sich heute über neue Verfolgungsgründe wie die „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" gegen eine Opposition versus das Corona-Regime beklagt, der kann nachempfinden, wie es der Opposition in der Vor-RAF-Zeit ging.

Die Parallelen reichen hier bis zur „Lügenpresse“, als Erstes brannten 1968 die Lieferfahrzeuge bei Springer, zuvor war Rudi Dutschke in den Kopf geschossen worden, der Attentäter des Studentenführers aufgehetzt von der Bild-Zeitung. Und auf der Metaebene wurde der Vietnamkrieg zum Fanal, weil er maßgeblich von Deutschland aus logistisch betrieben wurde, wie viele weitere militärische Operationen der USA. Übrigens: Auch im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine spielen die US-Basen eine Rolle, Ramstein ist Drehkreuz für Waffenlieferungen geworden, schreibt aktuell der Stern.

Wer sich heute zur neuen konservativen Opposition zählt und eine linksgrüne, bürgerfeindliche Ideologie beklagt, der erkennt nicht den Widerspruch, wenn er damit automatisch auch die linke Opposition der Vor-RAF-Zeit verdammt. Damals wie heute wurde gegen die Einschränkung der Grundrechte (Notstandsgesetze) demonstriert, das macht sie in der Sache zu Gleichen.

Allerdings schränken heute ausgerechnet jene (und ihre Nachfolger) die Grundrechte ein, die damals gegen die Notstandgesetze demonstriert haben. Der Marsch durch die Institutionen hat also nicht etwa, wie erhofft, die Verhältnisse umgekehrt, sondern lediglich die politische Macht neu verteilt.

Der klassische Konservative wird hier mit den Füßen scharren, er wird den Widerspruch aber nicht auflösen können. Kurios: Die linksgrüne Ideologie bedient sich ausgerechnet jener Mittel, gegen die sich aufzulehnen sie als unverhandelbares Kernelement ihrer DNA bezeichnet. Aber das wurde von der Anti-Atomkraft-Haltung auch schon behauptet.

Aber zurück zu Otto Schily. Er ist eine der schillerndsten politischen Figuren der Nachkriegspolitik. Da bleibt es nicht aus, am Vorabend seines 90. Geburtstages ein wenig vom eigentlichen Thema in die Vita dieses Mannes abzuschweifen. Und weil Schily ein alter Hase ist, hat er mit seiner scharfen Kritik an der Ukrainepolitik der Bundesregierung den Scheinwerfer gerade ganz elegant auf das Geburtstagskind gerichtet – auf sich selbst.

Schily hebt die vielfach als Zögerlichkeit geschmähte Haltung des Bundeskanzlers zum Ukrainekrieg, zu Waffenlieferungen und Putin hervor: „Dabei wird zu wenig darüber nachgedacht: Wie können wir aus dem Konflikt herauskommen? (…) Positiv ist, dass Olaf Scholz sich diese Gedanken macht.“

Für Schily muss es Alternativen geben zu Waffenlieferungen und Geldzuwendungen. Konstruktive Ideen seien nötig:

„Notwendig ist politische Fantasie. Aber gleichzeitig muss klar sein, dass man mit seinen Nachbarn leben muss, auch mit Russland. Beide Seiten haben Interessen, die berücksichtigt werden müssen. Wir müssen einen Weg finden, mit den Russen klarzukommen.“

Der ehemalige Bundesinnenminister sieht einen EU-Beitritt der Ukraine als wenig realistisch, Schily setzt auf die Neutralitätskarte, auf ein „Modell Schweiz“:

„Aber ein Blick auf andere Länder zeigt, dass die Interessen aller Seiten gewahrt werden können, wenn ein Land militärisch neutral bleibt. (…) Eine Friedenslösung für die Ukraine könnte sich ein Beispiel am Modell der Schweiz nehmen.“

Nicht erkennbar für Schily, „wie ein EU-Beitritt der Ukraine funktionieren soll, ohne dass sich die EU überdehnt.“

In einem Spiegel-Interview von 2004 stellte das Magazin Minister Schily eine Frage, die auch fast zwanzig Jahre später gut die Gemütslage der Deutschen unter dem Eindrücken von Pandemie, staatlich geförderter illegaler Massenzuwanderung und Ukrainekrieg beschreibt, das Blatt befand gegenüber Otto Schily:

„Die Menschen haben einfach Angst.“

Und der Bundesinnenminister antwortete:

„Ja, aber wir dürfen uns von der Angst nicht beherrschen lassen. Wir müssen Risikobewusstsein und Wachsamkeit entwickeln. Doch wir dürfen uns nicht in einen ständigen Angstzustand hineinmanövrieren. Wir sollten nicht vor lauter Gram unsere Lebensfreude verlieren.“

Eine Aussage, die kaum aktueller sein könnte, die sich viele Bürger heute von der Regierung wünschen würde. Stattdessen bekommen sie nur Panik serviert: Der Justizminister will im Herbst wieder Masken einführen. Und ein entfesselter Bundesgesundheitsminister Lauterbach träumt offensichtlich von einer nie enden wollenden Pandemiesituation mit dem Racheengel Lauterbach im Zentrum eines von ihm selbst künstlich erzeugten Hurrikans.

Vorab alles Gute zum 90. Geburtstag an Otto Schily.

Wir schauen dabei auf ein Geburtstagskind und eine politische Karriere voller Brüche. Als Anwalt vertrat er die Führungsebene der Roten Armee Fraktion und wurde dafür vom polit-medialen Komplex diffamiert. Als Bundesminister vertrat er, insbesondere unter den Eindrücken des einstürzenden World Trade Centers, eine angespitzte Law & Order-Politik, die er zuvor jahrzehntelang bekämpft hatte. Gleichzeitig wandte er sich gegen eine stärker werdende linksgrüne Ideologie, ohne sich selbst gänzlich davon gelöst zu haben.

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Im Dezember 2021 bezeichnete Otto Schily die Allgemeine Impfpflicht als „unverantwortlich und verfassungswidrig“. Damals sagte er gegenüber der Welt:

„In einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie darf sich der Staat nicht anmaßen, dem einzelnen Menschen eine bestimmte ärztliche Behandlung aufzuzwingen.“

Es sei „gewissenslos, die früheren Festlegungen in einer Frage, die den Kern der Grundrechte angeht, einfach über Nacht zu Makulatur zu erklären.“

Otto Schily äußerte sich explizit auch zu den mRNA-Stoffen: Es handle sich dabei um neu entwickelte Impfmethoden, „deren Langzeitfolgen nach einem relativ kurzen Zeitabschnitt der Anwendung keineswegs abschließend verlässlich beurteilt werden können“.

Außerdem erwähnte Schily, dass er „eine nicht geringe Zahl von Menschen“ kenne, die durch „gesunde Lebensführung und Achtsamkeit allenfalls asymptomatisch an COVID-19 erkrankt sind, obwohl sie nicht geimpft sind und mit vielen potenziellen Virenträgern in Kontakt kommen“.

Schily gilt als Anhänger Rudolf Steiners, des Begründers der Anthroposphischen Weltanschauung. Steiner war durchaus Impfkritiker, wenn auch ambivalent, was beispielsweise die Impfung gegen Pocken anging.

Die Zeit fragte Schily 2015:

„Ihnen wird eine große Nähe zur anthroposophischen Weltanschauung von Rudolf Steiner nachgesagt.“

Otto Schily antwortete:

„Es stimmt, ich habe mich zeitlebens mit den Büchern und Vorträgen von Rudolf Steiner beschäftigt und verdanke dieser Lektüre sehr viele Anregungen. Aus der Anthroposophie sind viele positive Dinge hervorgegangen, vor allem in der Medizin, in der Landwirtschaft und in der Pädagogik. Ich war selbst kein Waldorfschüler, aber ich finde den Ansatz sehr überzeugend, dass es in der Erziehung in erster Linie darauf ankommt, Fähigkeiten auszubilden und nicht nur Wissen anzusammeln. Ich bin aber kein Anthroposoph. Manche Thesen Steiners erscheinen mir durchaus anfechtbar. Vielleicht kann man es so formulieren: Ich bin nichts ganz. Ich bin ein ewiger Skeptiker.“

Wir wünschen Otto Schily alles Gute.

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