Haben wir Horst Seehofer zu früh abgeschrieben?

Paukenschlag in Polen: Deutschland nimmt keine Migranten auf

von Alexander Wallasch

Was brachte Seehofer ein letztes Mal weg von seiner geliebten Märklin-Anlage? In Warschau angekommen überraschte der Innenminister mit einem Hardliner-Kurs in Sachen Migration - oder doch nur eine Fata Morgana?© Quelle: © Bildmontage: Screenshot/BR24, Screenshot/WELT

Streckt da einer die Hand aus? Soll das jetzt die letzte Grußadresse eines Gescheiterten an ein Land sein, das er in den Jahren als Bundesinnenminister so enttäuscht hat? Denn Horst Seehofer (CSU) gilt heute für viele als einer der Baumeister einer Massenzuwanderung nach den Plänen der Bundeskanzlerin.

Und der ehemalige bayerische Ministerpräsident machte dabei eine besonders tragische Figur. Er war es nämlich, der immer mal wieder intervenierte, rebellierte, aber jedes Mal einknickte, nachgab und den Dingen seinen Lauf ließ. Doch, Seehofer hätte angesichts dieser Kette von öffentlichen Blamagen und Demütigungen durch die Kanzlerin längst zurücktreten müssen. Stattdessen fügte er sich, der Bayer wollte mit preußischen Tugenden glänzen, Seehofer fand zuletzt nicht einmal mehr etwas dabei, sogar offensiv den Kurs von Angela Merkel gutzuheißen - oder besser: öffentlich zu erdulden.

„Die Mutter aller Probleme“ hatte Seehofer die Migration einst genannt – aber er tat es wie ein trotziger Junge, ahnte doch jeder, dass die Erwähnung von Mutti hier bewusst gewählt wurde. Mutti Merkel nahm den langen Kerl dafür eins ums andere mal zur Seite und las ihm ordentlich die Leviten.

Anschließend glühten die Wangen und Horst Seehofer sprach folgsam nach, was von ihm verlangt wurde – ja, einmal doch, da hatte er Merkel vor fast genau sechs Jahren auf seinem CSU-Parteitag auf fremden Terrain gedemütigt, aber anschließend verschwand Seehofer einfach von der politischen Bühne, stattdessen wurde das Bundesinnenministerium – so schien es - kurzerhand von Merkel selbst mit übernommen. Sie regierte ab diesem Zeitpunkt einfach durch Seehofer hindurch, was bisweilen gespenstisch anmutete.

Zuletzt hatte Horst Seehofer sich sogar öffentlich in die Modelleisenbahnecke verabschiedet. Und um seine - ja was eigentlich, Selbstgeißelung? - auf die Spitze zu treiben, nahm er Spiegelreporter mit runter in seinen Keller um dort lächelnd am Trafo zu drehen, dass noch der nachtragendste Linkspopulist Erbarmen haben musste.

Tatsächlich brachte das Hamburger Magazin unfassbare Bilder aus dem Keller mit: Seehofer im weißen Oberhemd mit der Klebeflasche unter Muttis verblichenem Vorhang vor dem Kippkellerfenster aus dem Baumarkt.

Also ade und weg? Dachte man bis heute. Dann plötzlich taucht Seehofer gestern mit Aktentasche aus den Tiefen seines Blümchenvorhang-Keller auf und Bild titelt begeistert: „Seehofers Knallhart-Absage an die Flüchtlinge.“

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Der geschäftsführende Bundesinnenminister war also doch noch nicht an seiner Modelleisenbahnplatte festgetackert, Seehofer hatte am Mittwoch aufrechtstehend angekündigt, dass er am heutigen Donnerstag nach Warschau fahren werden. Er werde Gespräche mit der polnischen Regierung führen, die Reise sei sogar „mit der künftigen Bundesregierung“ abgesprochen. Dabei sollte, hieß weiter, klar zum Ausdruck gebracht werden, dass Deutschland solidarisch zu Polen stehe.

Das muss man jetzt im Hinterkopf behalten, denn demnach wäre, was noch kommt, auch mit der Ampelkoalition - also den Grünen persönlich - so abgesprochen: Deutschland wird laut Seehofer und in Absprache mit Polen keine an der belarussischen Grenze zur EU festsitzenden Flüchtlinge aufnehmen.

Zwischenzeitlich aber hatte die nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin mit dem weißrussischen Machthaber telefoniert und Lukaschenkos Präsidenten-Sprecherin hatte verkünden lassen, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wolle mit der EU über die Schaffung eines „humanitären Korridors nach Deutschland“ für 2000 Migranten von der Grenze zu Polen verhandeln.

Aber auch dieser Gespensternachricht erteilte Seehofer eine Absage: Deutschland wäre zwar bereit zur humanitären Versorgung der Flüchtlinge auf weißrussischer Seite beizutragen, sagte Seehofer. „Was wir nicht tun werden, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, dass wir dem Druck nachgeben.“

Seehofer macht weiter unmissverständlich klar: Wer behaupte, die Bundesregierung sei bereit, Menschen nach Deutschland zu holen, der verbreite „Falschmeldungen“, mit denen „Druck“ ausgeübt und „Stimmung“ gemacht werden soll. „Das werden wir in der nächsten Zeit noch öfters erleben.“

Auch was die deutsche Haltung zum Einsatz der Polen an ihrer EU-Außengrenze betrifft, ließ der Seehofer keinen erkennbaren Spielraum für Interpretationen: Er sprach Polen „Solidarität“ und „Dank“ aus und bescheinigte dem polnischen Nachbarn: „Das, was Polen in dieser Krise macht, ist richtig und legitimiert.“

Das Abriegeln der Grenzen wären „nicht nur eigene Interessen, sie handeln auch im Dienste der gesamten Europäischen Union“, bescheinigte der Bundesinnenminister den Polen. Damit will er ernsthaft auch für die zukünftige Ampelkoalition gesprochen haben? Erstaunlich!

Der polnische Gastgeber, Innenminister Mariusz Kaminski (56) versicherte dem Deutschen und damit auch der EU: „Es wird hier keinen Weg für zynische illegale Migration geben.“

Deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGO) müssen darüber schäumen – jedenfalls dann, sollte Seehofer hier tatsächlich auch im Namen der Grünen mit vorgesprochen haben.

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Und die Antwort kommt auch postwendend: Sich selbst „Menschenrechtsorganisationen“ nennende private Gruppen warfen der Regierung in Polen vor, sie würde die Migranten unmenschlich und teils brutal behandeln. Migranten würden immer wieder zurück nach Belarus geschickt, wo, sie „in einem Streifen zwischen polnischen und belarussischen Sicherheitskräften ohne Unterkunft und humanitäre Hilfe festsitzen“ schreibt die Bild.

Die Stuttgarter Nachrichten zeigten sich erstaunt darüber, dass Seehofer persönlich nach Polen gefahren ist, denn zuvor hätte er schon inländische Termine nur noch per Videoschalte absolviert.

Der Merkur zitiert Seehofer dahingehend, dass der in Warschau erklärt hätte, Polen handle an seiner EU-Außengrenze „seit Wochen zutiefst europäisch.“

Vor seinem Abflug hatte Seehofer noch der Deutschen Presseagentur zugerufen: „Ohne wirksamen Außengrenzschutz stellt sich Europa selbst in Frage.“

Fragwürdig bleibt allerdings zum Schluss, was Angela Merkel noch ausgehandelt hat mit dem weißrussischen Machthaber. Oder kann es doch sein, dass sich hier noch einmal ein letzter großer Showdown zwischen der Bundeskanzlerin und ihrem Bundesinnenminister entwickeln könnte?

Fatalm wäre es hingegen anzunehmen, Horst Seehofer hätte hier eine letzte große Nebelkerze gezündet, um wieder nur neue Migrantendeals von Angela Merkel so lange zu vernebeln, bis diese unumkehrbar unter Dach und Fach sind.

n-tv berichtet aktuell jedenfalls, dass sich Warschau sehr verärgert gezeigt hätte darüber, dass Merkel zwei Mal mit dem weißrussischen Diktator telefoniert hätte. Bemerkenswerterweise sprach Horst Seehofer hier für Kanzlerin – und es klang verdammt danach, dass er Merkel einfach sanft korrigiert, hätte: Seehofer stellte nämlich klar, dass die Kanzlerin keinerlei Einreisen von Migranten aus dem Grenzgebiet zugesagt hat. Würde Merkel es jetzt wider Erwarten doch tun, der Eklat mit Polen wäre lange nicht mehr zu reparieren.

Vielleicht aber wollte sich Seehofer wirklich noch einmal mit seinen Deutschen versöhnen. Aber mit welchem Teil des Landes? Denn das es auch in der Frage der Aufnahme von Migranten aus dem polnischen EU-Außengrenzgebiet Bürger gibt, die für eine solche Aufnahme wären, ist unbestreitbar.

Der Graben ist heute besonders tief. Und Merkel ebenso wie Seehofer sind zweifellos Architekten dieses hässlichen Bauwerkes einmal quer durch die deutsche Gesellschaft.

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