Warum das so verwirrend ist, zeigt ein Blick auf eine x-beliebige aktuelle Veröffentlichung zum Ukraine-Krieg: Impfgegner und Corona-Maßnahmenkritiker sind deutlich sensibilisierter für staatliche Narrative, hinterfragen instinktiv eine von der Regierung proklamierte Haltung. Sie sind dementsprechend auch kritischer gegenüber staatlich verordneten Positionierungen für oder gegen etwas.
Wer in Deutschland die letzten Merkel-Jahre bewusst erlebt hat, wer sich in anderem Zusammenhang womöglich an prominente Worte direkt aus dem Kabinett Merkel erinnert, beispielsweise als Bundesinnenminister Horst Seehofer von einer „Heerschaft des Unrechts“ sprach und damit Richtung Merkel zielte, der neigt nicht zu einem scharfkantigem Schwarz-Weiß-Denken.
Zusammengefasst muss man attestieren, dass diese regierungskritische Klientel in der Pandemie ihre Skepsis gegenüber der deutschen Regierung deutlich verstärkt hat. Schon bald nach Einmarsch der Russen in die Ukraine etablierte sich der Begriff des „Putin-Verstehers“ für all jene, die sich nicht sofort daran beteiligten, alles Russische zunächst einmal zu verdammen.
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Oder die sogar noch weiter gingen und es gewagt hatten, sich die Vorgeschichte des Konfliktes genauer anzuschauen, die zwar den russischen Angriff verdammten, aber nicht bereit waren, der USA einen Freibrief auszustellen, wie es beispielsweise Friedrich Merz, der Oppositionsführer der Union, im Deutschen Bundestag getan hatte, kurz nachdem Bundeskanzler Scholz seine Regierungserklärung zum Ukrainekrieg abgegeben hatte.
In einer anderen Zeit, an einem anderen Ort hätte man Corona-Maßnahmenkritikern womöglich positiv bescheinigt, dass ein aufmerksamer kritischer Blick hilfreich für jede Debatte sei. Heute werden sie als so etwas wie die fünfte Kolonne beschimpft.
Ausgerechnet die taz, die sich immer als so etwas wie ein oppositionelles Gewissen auf Papier gedruckt verstanden hat, gießt noch Wasser auf die Mühlen, bemüht das längst widerlegte Narrativ vom rechten Corona-Leugner und titelt: „Querdenker unterstützen Putin: Das reaktionäre Bauchgefühl“. Weiter heißt es da: „Erst machten sie Stimmung gegen eine angebliche „Coronadiktatur“, nun folgen sie Wladimir Putins Kriegsgeheul. Wie Rechte um ihr Publikum buhlen.“
Die taz findet auch nichts dabei, im Windschatten der allgemeinen Mobilmachung mit den Wölfen zu heulen und alle anderen über einen Kamm zu scheren: „Für die Gegner der Coronapolitik war früh klar, wo sie im Ukraine-Konflikt zu stehen haben: an der Seite Russlands.“
Tatsächlich haben sich Querdenken-Protagonisten wie Bodo Schiffmann und auch der Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer für den Antidemokraten Wladimir Putin stark gemacht. Aber der Einfluss dieser beiden Herren reicht bei weitem nicht aus für die Behauptung, diese beiden oder weitere Lautsprecher hätten gar so etwas, wie eine umfassende Meinungshoheit über die breite Gruppe der Impf- und Corona-Maßnahmenkritiker.
Wer einmal an einem Spaziergang teilgenommen hat, der weiß um die Vielfalt der Haltungen, die hier unter dem gemeinsamen Dach einer außerparlamentarischen Gegenbewegung zusammengekommen sind.
Eines allerdings darf man hier auch nicht unter den Tisch fallen lassen: Als sich der Russlandexperte Boris Reitschuster in einer Reihe von Artikeln deutlich gegen den Einmarsch der Russen in die Ukraine positionierte, kamen neben Zuspruch auch viele hundert Kommentare zusammen, welche in etwa die Meinung vertraten, dass sich Corona-Maßnahmenkritik nicht mit einer einseitigen Pro-Ukraine-Haltung vertragen würde.
Der Ton wurde schriller. Und wer noch gewillt war sich beide Seiten anzuhören, wurde auch von beiden Seiten angeschrien.
Jetzt hat der Pressesprecher von Putin die allgemeine Verwirrung auf ein neues Level gehoben, als er dem Teil der Corona-Maßnahmenkritiker, die Putin zumindest tendenziell positiv gegenüber eingestellt sind, vor den Kopf stieß und auch sie als „gefährliche Irre“ bezeichnete.
Die Verwirrung wäre sicher noch größer, der russische Präsident ginge mit genau jenen Mitteln gegen russische Impfgegner vor, die von deutschen Impfgegnern im Zusammenhang mit Zwangsimpfungen angeführt, aber in Deutschland selbst noch lange nicht dystopische Realität geworden sind.
Eine allgemeine Impfpflicht gibt es in Russland (noch) nicht. Und das, obwohl es dem russischen Präsidenten in seinem Herrschaftsbereich mutmaßlich leichter fallen würde, als der Bundesregierung, diese in seinem Land durchzusetzen.
Aber die Lage spitzt sich zu in Russland. Die staatliche Impfkampagne kommt nicht voran. In einer Sondersendung im russischen Fernsehen wurde der Ton gegenüber Impfverweigerern jetzt deutlich rauer.
In Russland wird der Vektor-Impfstoff Sputnik verabreicht, mittlerweile sogar als Nasenspray. Und obwohl es sich hierbei nicht um einen mRNA-Impftstoff handelt, stockt die staatliche Impfkampagne bei den letzten 35-40 Prozent der Ungeimpften in der Bevölkerung.
Putins Regierungssprecher sagte in der Fernsehsondersendung über Impfgegnern: „Gefährliche Irre. Das sind zwei Worte. Nur ein Wort reicht nicht.“
Die Berliner Zeitung berichtet weiter:
„Andrej Shkoda, der Chefarzt einer Klinik in Moskau, sagte in der Sendung, die Impfgegner legten eine „militante Ignoranz“ an den Tag. Ein weiterer Chefarzt aus Moskau, Sergey Tsarenko, bezeichnete Leute, die an der Impfung zweifeln, als „Idioten“. Der russische Gesundheitsminister des Landes, Michail Muraschko, nannte Impfverweigerer „unvernünftig“. Anna Popowa, die Chefin der russischen Gesundheitsbehörde Rospotrebnadzor, konstatierte, die Impfgegner seien „von Angst getrieben“.
Die Sondersendung war also hochkarätig besetzt, von Impfkritikern keine Spur. Diese klaffende Lücke immerhin sind Corona-Maßnahmenkritker hierzulande auch aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen gewöhnt.
Und auch als sich Präsident Putin das Sputnik-Nasenspray öffentlich und vor Kamera an sich selbst als Booster verabreichte, konnte damit wohl keine nennenswerte Zahl an Ungeimpften erreicht werden. Für Putin kann man nur hoffen, dass diese Aufnahmen nicht mehrfach wiederholt werden mussten – auch Sputnik will wohldosiert sein.
Tagesschau.de schrieb schon Mitte 2021, dass die russische Propaganda in einer strategischen Zwickmühle stecke und titelte verkürzend und polemisch: „Während der Staatssender RT in Deutschland Angst vor Corona-Impfungen schürt, wird die Impfkampagne in Russland beworben.“
Bei aller schon teilweise grotesk anmutenden Sympathie von einigen Impfkritikern für Putin drängt sich ein Verdacht allerdings auf: Es scheint so, dass der politisch-mediale Komplex die Gunst der Stunde nutzen will, um die außerparlamentarische Opposition auf der Straße unisono zu Putin-Freunden zu machen und sie auf diese Weise zu diskreditieren.
In den letzten zwei, drei Monaten wurde nämlich immer deutlicher, dass sich die Spaziergänger dauerhaft etabliert haben und immer öfter auch in der Mitte der Gesellschaft Unterstützung gefunden haben.
War es Staat und Medien bei den Querdenkern noch gelungen, diese Bewegung durch gezielte Diffamierung und Falschnachrichten zu zerschlagen – eine Reihe hausgemachter Skandale waren allerdings auch beteiligt - scheiterten diese Bemühungen regelmäßig bei den Spaziergängern.
Wichtige Frage: Wird die Positionierung zum Krieg in der Ukraine der Kipppunkt sein? Was der österreichische Kurier jetzt fast euphorisch und sehr einseitig über die Verwerfungen gebeugt schrieb lässt hier jedenfalls gar nichts Gutes erahnen:
„Derzeit liest man in ihren Gruppen-Chats aber kaum noch etwas über Corona. Ein neues Thema hat Einzug gehalten: der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Doch die wenigsten verstehen ihn hier als Akt der Aggression gegen ein souveränes Land, wie es die meisten Politiker und Experten tun. Man steht auf der Seite Putins. Zu beobachten auch außerhalb des Internets, wie zuletzt auf Corona-Demonstrationen, wo neben „Nein-zur-Impfpflicht“-Plakaten auch Russland-Fahnen geschwenkt wurden.“
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Kommentar von Peter Backfisch
Vielleicht tritt in der Tat nun der Kipppunkt ein. Ich muss leider allen, auch meinen Freunden, sagen, dass das mir inzwischen egal ist. Kämpft weiter oder kippt eben, ich weiß was ich mache. Inzwischen bin ich auch soweit diesen meinen eigenen Weg zu gehen. Ich habe verstanden, solidarisches gemeinsames Handeln gibt es nicht mehr.