Merksatz: Ohne Aufarbeitung der Merkel-Ära keine konservative Renaissance der CDU

Sebastian Kurz sucht ausgerechnet in der CDU ein konservatives Bollwerk gegen die Massenzuwanderung

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

Der Name „Merkel“ fällt bei Kurz ebenso wenig wie bei Merz, auch Kurz scheut hier die direkte Schuldzuweisung.© Quelle: Youtube/ Welt Screenshot

Der Ex-Bundeskanzler Österreichs macht sich auf die Suche nach den Konservativen in Europa, um irgendwie die anhaltende Massenzuwanderung zu stoppen. Dabei landet er ausgerechnet beim neuen Berliner CDU-Bürgermeister Kai Wegner.

Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz galt ab Amtsantritt 2017 auch für viele Menschen in Deutschland als so etwas wie ein Hoffnungsträger. Viel Zuspruch gab es beispielsweise, als Österreich sich unter Kurz weigerte, den UN-Flucht- und Migrationspakt in Marrakesch zu unterzeichnen.

Damals noch in Koalition mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), lehnte die türkis-blaue Regierung die Unterzeichnung ab, weil man befürchtete, dass das eigentlich rechtlich nicht bindende Papier doch zu so etwas wie einem „völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht“ werden könnte. Auch sorgte man sich damals, dass damit die nationale Souveränität beschnitten werde. Strache und Kurz lehnten die Unterzeichnung ab, weil sie eine „Verwässerung zwischen legaler und illegaler Migration“ fürchteten.

Für Angela Merkel, die nach Marokko zur feierlichen Unterzeichnung flog, war diese Unterzeichnung indes von herausragender Bedeutung. Der deutsche Einfluss an der Entstehung des UN-Papiers soll dabei kein geringer gewesen sein. Über den Akt der Unterzeichnung schrieb der österreichische Standard Ende 2018 geradezu blumig:

„Die Manege, in der sich alles abspielt, ist ein kleiner Traum, den Gastgeber Marokko extra für die Konferenz aus dem Boden gestampft hat. Ein brandneuer Gebäudekomplex am Bab Ighli, nicht weit entfernt von Marrakeschs berühmter Medina. Verziert mit zahlreichen Palmen, während im Hintergrund das Atlasgebirge den strahlend blauen Himmel ankratzt.“

Unterzeichnet oder nicht: Dass das am Ende für Österreich keinen Unterschied macht, liegt daran, dass sich die UN-Flucht-und Migrationspläne längst über die Migrationspläne der EU auch auf Österreich ausgedehnt haben.

Das besondere Kunststück, welches der EU dabei jüngst gelungen ist – so wird es unter anderem auch von der deutschen Innenministerin verkauft – besteht darin, die EU-Bürger glauben zu machen, die damit einhergehende weitere Öffnung Europas für illegale Migration, die dann legalisiert wurde, sei eine Eindämmung der Zuwanderung, das Gegenteil ist allerdings beim genaueren Hinsehen der Fall.

Wenig beachtet: Wenige Wochen vor der feierlichen Unterzeichnung des UN-Flucht- und Migrationspakt im Dezember 2018 wurde auch ein globaler UN-Pakt für Flüchtlinge aufgelegt, der mit der Stimme Österreichs „weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit“ im Dritten Ausschuss der UNO-Generalversammlung in New York angenommen wurde.

Was macht Sebastian Kurz heute? Er betreibt ein eigenes Beratungsunternehmen und fungiert bei der Investmentfirma „Thiel Capital“ als „Global Strategist“. Gestern machte er hinter der Bezahlschranke mit einem Kommentar in der “Welt“ auf sich aufmerksam. Hier überrascht zunächst die einfache Sprache des 36-Jährigen.

Inhaltlich bemerkenswert am Gastkommentar von Kurz ist der Blick auf die deutschen Christdemokraten, hier insbesondere der Wahlerfolg von Kai Wegner (CDU) in Berlin. Sebastian Kurz leitet daraus gleich eine Hoffnung auf eine Renaissance des Konservativen in Deutschland und Europa ab. Und hier explizit auch bezogen auf eine Eindämmung der Massenzuwanderung.

Kurz schreibt:

„In Berlin sollte die rote Vormachtstellung mit der Wahl am 12. Februar enden. Obwohl die linke Mehrheit weiterhin ungebrochen ist, zeigte das Wahlergebnis einen deutlichen Trend zugunsten der Konservativen.“

Wenn Kurz die deutschen Christdemokraten als Konservative bezeichnet, dann ist das vor allem deshalb überraschend, weil Kurz von 2013 bis 2017 österreichischer Außen- und Integrationsminister war und ab 2017 Bundeskanzler. Er war also besonders dicht dran, als Deutschland und Österreich die beginnende Massenzuwanderung ab 2015 erlebten, die bis heute anhält.

Ohne Merkel zu erwähnen, vergleicht Sebastian Kurz die Politik Wegners kritisch mit dem damaligen Kurs der Merkel-CDU, die aktuell unter Friedrich Merz insbesondere in der Migrationsfrage nahtlos fortgesetzt wird.

Aber ist der Berliner Wegner hier tatsächlich der Gegenentwurf zur Merkel-CDU unter Merz, die von der AfD-Chefin Alice Weidel jüngst in einer Videobotschaft als „rechter Flügel der Grünen“ bezeichnet wurde?

Sebastian Kurz schreibt:

„Ein Teil der Antwort darauf ist aus meiner Sicht die Positionierung. Kai Wegner präsentierte sich als Vertreter eines strengen „Law and Order“-Kurses mit dem Schwerpunkt Migration und Integration – und gewann damit die Wahl mit deutlichem Abstand vor der zweitplatzierten SPD.“

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Die Kritik von Kurz am Kurs der Merz-CDU in Bezug auf den Erfolg von Wegner in Berlin klingt dann so:

"Der Schlüssel dafür liegt auch darin, den Mut zu haben, für die eigenen Werte und Positionen einzustehen, und nicht zu versuchen, einem medialen Mainstream zu gefallen oder andere Parteien links zu überholen."

Angesichts des zähen Ringens der Merz-CDU mit der Werte-Union und des Parteiausschlussverfahrens um Hans-Georg Maaßen als Chef der Werte-Union, gibt sich Kurz hier auf fast rührende Weise naiv, wenn er über den Zustand konservativer Parteien schreibt:

„Konservative und bürgerliche Parteien haben ein klares Wertefundament und wissen in Wahrheit ja auch, wofür sie stehen. Sie haben aber manchmal die Tendenz, sich von der Kritik ihrer Konkurrenten und dem Druck der Medien verbiegen zu lassen.“

Und offenbar ist Kurz auch nicht präsent, wie Hendrik Wüst als christdemokratischer Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens zu einem konservativen Markenkern der CDU steht. Der sagte nämlich zuletzt im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Der Markenkern der CDU war nie das Konservative.“

Für Sebastian Kurz ist die Migration heute „eine der brennendsten Fragen unserer Zeit“. Das hätte sie freilich für Kurz ab 2015 bis zum Ende seiner Kanzlerschaft 2021 sein müssen. Aber was haben Kurz und andere politische Entscheider eigentlich in der Sache erreicht? Folgt man dem Gastautoren der Welt, nicht besonders viel. Auch Kurz sucht nach wie vor nach Antworten auf Fragen, die seit nunmehr acht Jahren unbeantwortet geblieben sind.

Sein Murmeltiermodus klingt dann so:

„Auf der einen Seite gibt es jene, die für einen lockeren Migrationskurs stehen, Integration als Bringschuld der Mehrheitsgesellschaft betrachten und sich von denen distanzieren, die vor unkontrollierter Zuwanderung warnen. Auf der anderen Seite gibt es die, die für einen sehr restriktiven Migrationskurs eintreten, Parallelgesellschaften ablehnen und Ordnung einfordern.“

Wenn Kurz feststellt, dass es für Konservative klar sei, wo sie in der Frage stehen, dann kann er damit nur die Werte-Union oder die AfD meinen, denn auf die CDU-Linie von Friedrich Merz trifft das alles nicht zu.

Wenn Merz von kleinen Paschas redet und sich anschließend mehr oder weniger dafür entschuldigt, schreibt Kurz in der „Welt“:

„Faktum ist: Unkontrollierte Zuwanderung geht in Ballungsräumen oft mit Problemen in der Integration und dem Entstehen von Parallelgesellschaften einher.“

Und Kurz wird noch viel deutlicher:

„Egal ob in Wien, Berlin, Paris, Brüssel oder Stockholm, die Fälle von Bandenkriminalität, Gewaltexzessen oder sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen durch männliche Migranten oder Asylwerber haben in vielen europäischen Metropolen zugenommen. Dieser Trend hält in Europa erst seit wenigen Jahren Einzug und ist klar auf unkontrollierten Zuzug, fehlende Integration und eine inkonsequente Haltung der Politik zurückzuführen.“

Nichtsdestotrotz ist auch das ein Wiedergänger von 2015 und keine neue Erkenntnis. Kurz selbst bezieht sich in seinem Kommentar auch auf die hundertfachen sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte Silvester 2015/16. Aber wie konkret hat Kurz das jemals auch gegenüber Merkel vorgetragen, als diese es versäumte, die illegale Massenzuwanderung zu stoppen?

Die Kritik von Kurz an der CDU kommt mindestens acht Jahre zu spät und sie ist nach wie vor nicht so deutlich, wie sie sein könnte. Bezeichnend: Der Name „Merkel“ fällt bei Kurz ebenso wenig wie bei Merz, auch Kurz scheut hier die direkte Schuldzuweisung. Stattdessen bekommt bei ihm der überregional eher unbekannte Berliner Kai Wegner Vorschusslorbeeren als eine Art Retter des Konservativen.

So kann man dann auch getrost alles weitere, was Kurz in der Sache schreibt, als Lippenbekenntnis werten, noch dazu Jahre zu spät:

„Klar ist: Unsere Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter. Das müssen auch konservative Parteien. Das bedeutet aber nicht, die eigenen Überzeugungen auf dem Altar der „Wokeness“ zu opfern, sondern sich dabei weiterhin auf das eigene Wertefundament zu verlassen.“

Angesichts der kollektiven Verweigerung der Konservativen – und nun auch über die deutschen Grenzen hinaus –, die Ära Merkel maximal kritisch aufzuarbeiten, wirkt es tatsächlich kurios, wie der ehemalige österreichische Bundeskanzler den neuen Berliner Bürgermeister, dessen Namen die wenigsten in Deutschland kennen, als neuen Messias der europäischen Konservativen aufzubauen. Da wird sich Kai Wegner wohl am meisten erschrocken haben.

Kurz endet in der „Welt“ folgendermaßen:

„Wie kann das gelingen? Das führt mich zurück zum Anfang dieses Textes und zur CDU Berlin. Nur eine Partei, die sich nicht vor heiklen Themen scheut und Mut zur Haltung beweist, kann letztendlich das Vertrauen der Menschen gewinnen. Kai Wegner und der CDU Berlin ist das historische Kunststück gelungen, als bürgerliche Kraft im roten Berlin als deutlicher Wahlsieger hervorzugehen. Dazu kann man nur gratulieren und alles Gute für die Regierungsarbeit in der Bundeshauptstadt wünschen!“

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