Medien betreiben Kaffeesatzleserei wie für ein Propagandaministerium

Steinmeier und Lawrow kuscheln sich in den Ukrainekrieg

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Man kann die Außenpolitik der Merkelregierung kritisieren, man muss sogar. Aber eine nette Begegnung von 2016 zwischen Außenminister Steinmeier mit Amtskollegen Lawrow zur Keimzelle des russischen Überfalls auf die Ukraine zu machen, ist dreckig.© Quelle: © Quelle: Marc Müller

Die Altmedien haben Frank-Walter Steinmeier bei seinem Einzug ins Schloss Bellevue die Stange gehalten, wie man so sagt. Ein paar Lorbeerkränze gab es für den Sozialdemokraten aber schon zuvor, als Steinmeier im Kabinett Merkel I und III Außenminister der Bundesrepublik Deutschland war.

Als Steinmeier Bundespräsident wurde, schrieb beispielsweise der Deutschlandfunk rückblickend:

„Als Außenminister wurde er zum Aushängeschild für Geduld, Dialog und Deeskalation. Dieses Image wird ihm auch in seiner neuen Rolle helfen.“

Und als Steinmeier Bundespräsident wird, freut sich beispielsweise die Süddeutsche Zeitung ganz besonders darüber: „Vielleicht wird man einmal über seine Präsidentschaft sagen: Er war eine Stimme der Vernunft in einer Zeit voller Unvernunft.“

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Aber das ist jetzt alles vorbei. Denn im Kontext mit Putins Überfall der Ukraine ist jetzt ein Foto aufgetaucht, das Frank-Walter Steinmeier als Außenminister in freundlicher Geste zum russischen Außenministerkollegen Sergei Lawrow zeigt, der seit 2004 diesen Posten für die Russische Föderation innehat.

Eine Aufnahme, die für große Empörung sorgt. Die Welt titelte aufgebracht: „So verhält man sich nicht, wenn man auf Distanz bleiben will“.“ Und das Blatt befand weiter:

„Ein Foto von 2016 macht wieder die Runde: Es zeigt eine merkwürdig vertraute Berührung zwischen Frank-Walter Steinmeier und Moskaus Außenminister Lawrow. Diese Nähe ist typisch für die hartleibige deutsche Verträumtheit und deutsche Versäumnisse im Umgang mit Russland.“

Aber im Lichte des Überfalls auf die Ukraine ist gut unken. Da ist es ein Leichtes, die aktuellen Ereignisse als Schablone zu nehmen. Die Zeitung schreibt weiter:

„Bilder können Geschichten erzählen und verborgene, leicht zu übersehende Tatsachen ans Licht bringen.“ Manchmal wirken solche Fotografien, im Abstand von ein paar Jahren und im Lichte neuerer Ereignisse betrachtet, peinlich ...“

Viel peinlicher ist diese Kaffeesatzleserei aus dem Hause Springer. Die umgedrehte Glaskugel: Ereignisse in der Vergangenheit werden quasi rückwirkend neu vorausgesagt.

Die Hamburger Morgenpost schreibt ebenso entrüstet wie die Welt über besagtes Foto gebeugt: „Russland-Politik: Steinmeiers Schweigen zur eigenen Vergangenheit.“

Und es gibt noch mehr Erstaunliches: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war lange das Hätschelkind der Altmedien. Dass er im Zusammenhang mit den großen Verwerfungen der letzten zehn Jahre – Zuwanderungskrise und Corona-Regime – einer der maßgeblichen Grabenbauer und Spalter der Gesellschaft war/ist, ist an diesen Medien offensichtlich spurlos vorbeigegangen.

Jetzt soll die wilde Interpretation eines Fotos die Wende bringen im Fall Steinmeier und den Politiker quasi zum Mitangreifer in der Ukraine machen - weil das gerade so gut passt? Bei aller individuellen Verachtung für diesen Sozialdemokraten, das kann nicht funktionieren, das ist ein ausgemachter Unsinn.

Was man auf diesem Foto sieht, wird jetzt triumphierend hochgehalten und herumgezeigt als ein Missing Link der Kumpanei und Verschwörung hin zum blutigen Ukrainekrieg.

Die Aufnahme zeigt die beiden Außenminister. Steinmeier sitzend und Lawrow an ihm vorbeigehend. Lawrow berührt Steinmeiers Schulter und der berührt zeitgleich den Ellenbogen des Russen. Ja, dass sieht vertraut aus, aber mehr auch nicht. Man könnte hier sogar einwenden, dass Steinmeier den Blick nicht einmal zum Kollegen hinwendet, nicht hinaufschaut zu Lawrow, als hätte er ganz anderes im Auge. Aus dem Auge, aus dem Sinn.  

Nein, es kostet in diesem Zusammenhang überhaupt keine Mühe, ähnliche oder noch innigere Fotos von Lawrow mit der Politikelite der versammelten westlichen Welt zu finden. Umarmungen mit Hillary Clinton, mit dem US-Außenminister Kerry, jeder durfte mal ran bei diesem Russen ohne Berührungsängste.

Hier mag es für den einen oder anderen Kuschler beruhigend gewesen sein, dass der sozialistische Bruderkuss auf russischer Seite nicht zum festen diplomatischen Repertoire gehört, wie es das berühmtestes Gemälde der Mauermalerei der Berliner East Side Gallery zwischen Erich Honecker und Leonid Breschnew zeigt.

Bei der Betrachtung dieses Fotos des Anstoßes ist es hilfreich wie naheliegend, den Fotografen zu befragen. Also machen wir es. Marc Müller ist selbst am meisten überrascht: „Ich kann Ihnen das kurz und knapp sagen: Das ist eine ganz normale Begrüßung bei der MSC.“

Müller erzählt weiter, er begleite die MSC als Fotograf schon seit zehn Jahren. Was man auf dem Foto sehe, sei völlig normal. Da wäre nichts passiert, was irgendwie nahbar oder sonst irgendetwas wäre. „Das ist eine Diskussion um nichts in meinen Augen.“

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Er sehe dort bei jedem Treffen viel engere Umarmungen, berichtet er gegenüber alexander-wallasch.de:

„Die treffen sich da im Flur, haben sich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Man sieht sich ja nicht jede Woche, dann begrüßt man sich eben.“

Angefragt hätten bei ihm übrigens viele Redaktionen, von Spiegel bis ARD. Aber nicht etwa, um zu erfahren, wie diese Aufnahme entstanden ist oder was etwa der Fotograf dazu zu sagen hat. Nein, angefragt wurde lediglich das Foto und ob es weitere gäbe.

Müller weiß, was er fotografiert hat. Hier wird etwas in diese Aufnahme hineininterpretiert, dass es so schlicht nicht gibt. Ein Politikum.

Übrigens auch Vertreter der Neuen Medien, Kollegen von mir, sehen in diesem Bild von 2016 und der Berührung der Außenminister eine Grenzüberschreitung. Ich mag das nicht erkennen.

Julian Reichelt, der ehemalige Chef bei Bild, der demnächst einen eigenen TV-Sender an den Start bringen will, hat ein Video zum Thema auf Twitter hochgeladen. Reichelt erzählt dort Folgendes in die Kamera:

„Wieso hat Frank-Walter Steinmeier so oft ignoriert, was die ganze Welt erschüttert hat? Die Antwort ist so bitter wie eindeutig: Putin und seine Schergen waren Steinmeiers engste politische Weggefährten und Freunde. Steinmeier suchte die Nähe des Bösen.“

Und dann blendet Reichelt besagtes Foto ein:

„Schauen wir uns dieses bemerkenswerte Foto an. Es zeigt Steinmeier, damals noch Außenminister, mit Putins engstem Vertrauten Sergej Lawrow. Das Foto entstand im Februar 2016. jeder Mensch kann sehen, dass dieses Foto mehr zeigt als die Geschäftsbeziehung zweier Außenminister. Wir sehen Nähe, wir sehen Vertrautheit, wir sehen Bromance-Berührungen, die tiefe aufrichtige Zuneigung demonstrieren. Jeder normale Mensch, der dieses Bild betrachtet, erkennt echte Freundschaft. Wir sehen Blutsbrüder. Leider im wahrsten Sinne des Wortes.“

Reichelt erkennt „Blutsbrüder“ und ein „Bromance“ Kumpelkuscheln, welches dem Fotografen der Aufnahme nicht erkannt hat – nicht während der Aufnahme und auch nicht danach.

Aber wenn Julian Reichelt und weitere berufene Fotoanalysten das alles tatsächlich in dieser Aufnahme sehen und hier nicht ihrerseits Propaganda betreiben, dann muss man sich fragen, wie man es schafft, zeitgleich ähnliche Berührungen x-beliebiger Politiker auf dem internationalen Parkett einfach auszublenden. Eine Nähe, die doch vielfach demonstrativer und inniger zur Schau gestellt wird als diese kurze Berührung zwischen Lawrow und Steinmeier.

Irritierend an diesem hingemauschelten Bromance-Akt ist die Frage, warum so etwas nötig ist. Denn wer die Ostpolitik der Merkel-Regierung kritisch beleuchten will, der muss keine Fotos missinterpretieren, der sollte sich vielmehr mit Merkels Außenpolitik beschäftigen, Material liegt ausreichend vor. Nein, da stimmt etwas nicht. So funktioniert sonst Propaganda.

Konkreter wird da schon der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk gegenüber der Welt:

„Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben.“

Und Melnyk nennt Olaf Scholz und weitere. Hier sind die Medien dringend gefragt, diese Anschuldigungen kritisch zu überprüfen, sie zu bestätigen oder zu verwerfen.

Stattdessen schaut man sich lieber Fotos durch die Bromance-Brille an, als ginge es darum, die Entstehungsgeschichte des Ukrainekriegs aus dieser einen Aufnahme herauszulesen, so wie sich alte Frauen Karten legen, um für ein paar Silberlinge die Zukunft ihrer Kundinnen zusammenzugaukeln.

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