Delegitimierung des Staates scheitert schon am Definitionswillen und –vermögen

„Verächtlichmachung der Regierung“ – Verfolgung der Opposition frei nach Schnauze

von Alexander Wallasch (Kommentare: 7)

„Diese Politik vernichtet uns alle“ wird vom Bundesverfassungsschutz als perfektes Beispiel genannt für eine beobachtungswürdige „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.© Quelle: Verfassungsschutz.de, Pixabay / sweetlouise I Montage: Alexander Wallasch

Mal so als Laie gefragt: Beim neuen Verfolgungsgrund des Bundesverfassungsschutzes gegenüber Andersdenkenden und Oppositionellen, der sogenannten „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ – geht es dabei wirklich nicht um eine Abwehr von Kritik an der Bundesregierung? Müsste hier nicht streng genommen die sich selbst delegitimierende Bundesregierung unter Beobachtung gestellt werden?

Dass das alles so verworren ist, liegt an diesem Kuddelmuddel aus dem Innen- und Justizministerium. Der Abgeordnete Jürgen Braun (MdB, AfD) hat in einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung – die Linke und die AfD sind hier besonders fleißig – mal für alle Störenfriede, Renitenten, Radikalen und Extremen nachgefragt, was nun genau beobachtet und überwacht werden soll, und wie viele Fälle man erwartet.

Für die Unterscheidung von Gute und Böse sollte gelten: Man will doch wenigstens absichtlich böse sein und nicht aus Versehen.

Aber kurz noch zur Entstehungsgeschichte der neuen „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“. Ein Konstrukteur dieser neuen Schnüffelausweitung ist Ministerpräsident Markus Söder. Denn aus Bayern kam Anfang 2021 das Sammel-Beobachtungsobjekt "Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen".

Thomas Haldenwangs Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zog im Mai 2021 nach und richtete den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein.

Interessant ist die Vorstellung dieses neuen Verfolgungsgrundes auf der Seite des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zur Erläuterung wird eine Fotografie eines Demonstranten gezeigt, der ein Schild in der Hand hält mit der Aufschrift: „Diese Politik vernichtet uns alle“.

Das „vernichtet“ hier metaphorisch gemeint sein dürfte, scheint der Verfassungsschutz zu überlesen. Denn was der Demonstrant – der sogar eine FFP2-Maske trägt! – da anprangert, meint sicher die Vernichtung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Gesundheit und der Wirtschaft und mutmaßlich keine vom Staat aufgebauten Tötungsfabriken.

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„Diese Politik vernichtet uns alle“ kann man so betrachtet als gelungene Zuspitzung und freie Meinungsäußerung verstehen. Neben besagtem Foto und in weißer Schrift auf Telekom-Magenta steht eine Erklärung des Bundesverfassungsschutzes zur „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“:

„Verschiedene Akteure instrumentalisieren das Protestgeschehen gegen Corona-Schutzmaßnahmen, um losgelöst von jeder sachbezogenen Kritik eine tatsächlich verfassungsfeindliche Agenda zu verfolgen. Dies äußert sich u.a. in einer aggressiven Agitation gegen Repräsentanten und Institutionen des Staates, um dessen Legitimität systematisch zu untergraben.“

Losgelöst von jeder sachbezogenen Kritik? Und als perfektes Beispiel dann ausgerechnet der Satz: „Diese Politik vernichtet uns alle“?

Der Präsident des Bundesverfassungsschutzes kommentiert das unter dem Demonstranten-Foto dann folgendermaßen:

„Es ist der gesetzliche Auftrag des Bundesamtes für Verfassungsschutz genau dort hinzusehen, wo (…) aus Skepsis gegenüber dem Verfassungsstaat seine Bekämpfung wird.“

Was aber, wenn die Bundesregierung selbst die Verfassung bekämpft? Ein Beispiel gefällig? 2015 kritisierte der Vize-Bundestagspräsident Wolfang Kubicki (FDP) ein Vorhaben der Bundesregierung mit folgenden Worten: „Verfassungsbruch der übelsten Sorte". Damals ging es um die Vorratsdatenspeicherung.

Das wiederum führt zur Frage: Wie entfernt man eigentlich eine verfassungsfeindliche Bundesregierung?

Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun fragte die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage (30. Juni 2022/Arbeits-Nr. 6/478):

„Mit welcher Anzahl der dem Phänomenbereich 'Verfassungsschutz relevante Delegitimierung des Staates' zuzuordnenden Delikte rechnet die Bundesregierung, und welcher personelle und finanzielle Aufwand wird für Ermittlung dieser Fälle notwendig sein?“

Beantwortet wurde die Frage von einer parlamentarischen Staatssekretärin aus dem Hause von Bundesinnenministerin Nancy Faeser:

„Im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes in Fällen politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK) werden politisch motivierte Straftaten durch die zuständigen Landeskriminalämter an das Bundeskriminalamt übermittelt und in einer zentralen Fallzahlendatei erfasst. Ausgehend von den Motiven zur Tatbegehung und den Tatumständen werden politisch motivierte Taten durch die Länder sogenannten 'Themenfeldern' zugeordnet sowie die erkennbaren ideologischen Hintergründe und Ursachen der Tatbegehung in einem staatsschutzrelevanten 'Phänomenbereich' abgebildet. Ist der Sachverhalt nicht unter den Phänomenbereichen PMK -links-, PMK -rechts-, PMK-ausländische Ideologie- oder PMK -religiöse Ideologie- subsumierbar, ist der Phänomenbereich PMK -nicht zuzuordnen- zu wählen.

Der Begriff 'Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates' ist dem gegenüber ein durch die Verfassungsschutzbehörden genutzter Terminus. Es handelt sich entsprechend des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes um einen personen- bzw. gruppierungsbezogenen Ansatz, der in der die Systematik des KPMD-PMK nicht deckungsgleich abgebildet wird.“

Frau Schwarzelühr-Sutter – so heißt die antwortende Staatssekretärin - verzichtet also auf die Nennung einer Fallzahlen-Prognose. Um dann im zweiten Teil der Antwort auf dieses Nichts noch durchblicken zu lassen, dass sie selbst keinen blassen Schimmer davon hat, was mit einer „Delegitimierung des Staates“ überhaupt gemeint sein kann.

MdB Jürgen Braun kommentiert die ihm erteilte Auskunft so:

„Die Bundesregierung wünscht offensichtlich keine Debatte um aktuelle Fragen zur amtlichen Verfolgung sogenannter Delegitimierung des Staates oder der Verächtlichmachnung der Regierung. Damit entzieht sie sich der Diskussion, welche Kritik an Regierung und Behörden in einer freiheitlichen Demokratie möglich bleiben muss. Diese Frage ist aber von grundlegender Bedeutung und darf nicht, wie sonst nur in einem Unrechtsstaat, unbeantwortet bleiben. Alles andere lässt hinter dem Schweigen keine guten Absichten vermuten.“

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Die Fraktionsführung der AfD hatte allerdings schon im Februar nachgefragt, was mit dem neuen Phänomenbereich überhaupt gemeint sein könnte. Und Weidel, Chrupalla und Co erhielten binnen Tagen Antwort:

„Der Begriff der ‚verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates‘ bezeichnet phänomenologisch eine neue Fallgruppe extremistischer Bestrebungen, die unter der herkömmlichen Klassifizierung – etwa in Rechtsextremismus oder Linksextremismus – nicht adäquat zuordenbar ist. (…) Phänomenologisch werden damit solche Bestrebungen erfasst, die durch die systematische Verunglimpfung und Verächtlichmachung des auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung basierenden Staates und seiner Institutionen bzw. Repräsentanten geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in diese Grundordnung zu erschüttern.“

Und weiter wird den Fragestellern erklärt:

„Von sachbezogener – auch polemischer – Kritik unterscheidet sich dies gerade dadurch, dass unter Außerachtlassung jeder Bemühung um Augenmaß an die Stelle des kritischen Urteils eine Darstellung tritt, die im einzelnen kritikwürdige Zustände bewusst entstellt, begleitet von einer Diffamierung der Einrichtungen des Staates und seiner Repräsentanten, so dass der Eindruck entstehen muss, diese allenthalben bestehenden ‚Missstände‘ hätten letztlich ihre Ursache in der Grundordnung selbst, am Maßstab praktischer Bewährung gemessen sei sie also untauglich.“

Fassen wir zusammen: Wer sich in seiner Kritik an der Bundesregierung nicht um „Augenmaß“ bemüht oder kritikwürdige Zustände bewusst entstellt, der muss vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Hier kann man sich lebhaft vorstellen, welche zusätzlichen Stellen da beim Verfassungsschutz entstehen, diesen Tatbestand einzuschätzen. Wer sich bewerben möchte, der kann das gleich hier erledigen. Waidmannsheil!

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